Urlaub ist etwas Herrliches! ... insbesondere dann, wenn die Kinder alle in der Schule sind und die Frau außer Haus im Weihnachtsbesorgungsstress ist. Zeit, um mal durch den Plattenschrank zu fräsen und wirklich auch mal in der letzten hintere Ecke zu schauen, was da noch so rum steht. ... und dann auch mal wieder sehr ungewöhnliches Zeug aufzulegen, wo ich selbst nicht mehr so recht weiß, was das eigentlich ist und wie sich das anhört. So geschehen heute, heraus gekramt habe ich Karthago. Eine ungarische Band, die im Ostblock damals durchaus unter dem Etikett Heavy Metal gehandelt wurde. ... und da ich damals alles gekauft habe, was mir in dieser Richtung in die Finger kam, erklärt das auch, dass ich zwei Platten von Karthago im Schrank habe. Freilich, würde ich Karthago heute nicht mehr den Stempel von Heavy Metal aufdrücken, selbst wenn sie hier und da auch mal recht harte Gitarrensaiten anschlagen. Wahrscheinlich würde es heute eine Mischung zwischen Classic- und Progressive Rock ganz gut treffen. Jedenfalls kannte ich weder die Platten, noch die Songs und selbst Karthago als Band kannte ich nur dem Namen nach. Es waren also Wundertüten, die ich alsbald auch als Fehlkauf abtat. Klar, als frisch gebackener Motörhead-, Venom- und Slayer-Jünger war das was Karthago machten viel zu soft, elektronisch weich gespült und hatte mit dem Metal den ich mochte nicht die Bohne zu tun. Obendrein singt Karthago in Landessprache, ... und ungarisch ist als Sprache für eingängige Rockmusik mal zumindest gewöhnungsbedürftig. Aus heutiger Sicht darf ich allerdings sagen, ungarisch ist auch nicht schlimmer als isländisch (siehe Solstafir). Ich weiß gar nicht, ob ich diese beiden Platten vor dem heutigen Tag jemals durch gehört habe. Auf jeden Fall hatte ich sie bestimmt zwanzig Jahre nicht in der Hand. Wie sich heute herausstellt, habe ich diese Platten über die Jahrzehnte völlig zu unrecht so unterbewertet. Wie bei so vielen Dingen hat die Zeit meiner Toleranzschwelle sehr gut getan. Das was ich heute zu hören bekam, war durchaus beeindruckend vielfältig, musikalisch auf Topp-Niveau. Klar, ungarisch ist immer noch recht ungewohnt, aber spätestens nach dem zweiten Song liegt der Fokus tatsächlich auf der Musik und die ist durchaus bemerkenswert.
Nun habe ich hier die ganze Zeit von zwei Platten gesprochen, die ich auch beide hätte zum Album der Woche erklären können. Zum einen habe ich das selbstbetitelte Debüt "Karthago" von 1981 und zum anderen eben "Senkiföldjen" , das vierte Studioalbum von 1984. Während "Karthago" doch sehr häufig mit diversen Orgelläufen ala Jon Lord und Gitarrensoli ala Richie Blackmore noch sehr an Deep Purples Rockzeremonien erinnert, ist man bei "Senkiföldjen" schon wesentlich spezieller zu Werke gegangen. Neben den typischen dumpfen E-Schlagzeug-Hall-Klängen der Mid-80er verwendeten Karthago ausgefeilte Synthesizersound-Strukturen, teilweise der 80er Pop-Musik entlehnt und spielen sehr abwechlungsreich damit, ohne ihre Rock-Intentionen zu vernachlässigen. Das gibt dem Ganzen doch einen sehr progressiven Touch. Sehr klar, dass ich damals mit diesem Album nichts anfangen konnte. Vierzig Jahre später sieht die Welt ganz anders aus ...
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